Als ich den Begriff der Gesellschaftsfähigkeit in der Diskussion verwendete, dachte ich daran, dass sich ein Patient die Frage stellt, wie die Gesellschaft um ihn herum auf seinen Hg reagiert.
Die konservativ denkende Gesellschaft möchte die heile Welt um sich herum. Man bemüht sich um ein angenehmes Lebensumfeld. Es ist wichtig, dass man sich wohlfühlt. Rationale Gesichtspunkte sind da nicht so wichtig. Jeder möchte aber auch gut dastehen. Man möchte sich den Mitmenschen darstellen als jemand, der alles im Griff hat, bei dem alles gutläuft. Wer aus irgendeinem Grund da nicht mithalten kann, hat's schwer. Wenn man die Schule nicht geschafft hat oder die sogenannten einfachsten Dinge nicht zustandebringt, dann passt das nicht in die heile Welt des Konservativen.
Vielleicht ist ADHS auch ein Stück Zivilisationskrankheit, aber wenn sich heute mehr darum gekümmert wird und man offen darüber sprechen kann, dann liegt das nach meiner Überzeugung daran, dass es früher ein Tabuthema war und jetzt nicht mehr. Also andersum: Man hat es früher unter den Teppich gekehrt und verheimlicht.
In einer mehr aufgeklärten, rational denkenden und dementsprechend empfindenden Gesellschaft ist all das halb so wild. Man schämt sich nicht mehr dafür, wenn etwas nicht so ist, wie man es sich wünscht. Man wird auch akzeptiert, wenn man nicht perfekt ist.
Was bedeutet das nun für unser Thema? Ich denke, wer von seinem KFO mit einem Headgear bedacht wurde, hat in der konservativen Gesellschaft den Eindruck, er störe mit seinem Außengestell die heile Welt seiner Mitmenschen, erinnere sie daran, dass die Welt eben doch nicht in Ordnung ist und dokumentiert, dass die schnöde Zahnstellung wichtiger ist als ein schönes Aussehen. Diese Werteordnung passt nicht in die konservative Gefühlswelt. Wer hingegen weiß, dass die Mitmenschen sowieso wissen, wofür der Drahtbügel gut ist und dass sie deswegen nicht verunsichert sind, hat auch nicht das Bewusstsein, sich wegen der Störung der vermeintlich heilen Welt schuldig zu machen. Diese Situation scheint mir eben in den Niederlanden gegeben zu sein.
Das heißt zusammengefasst: Die nichtkonservative, aufgeklärt-rationale Sichtweise erleichtert es, den Headgear als etwas normales wahrzunehmen.
Obwohl man bei uns in der Öffentlichkeit faktisch keine Hgs sieht, scheint das Gerät dennoch allgemein bekannt zu sein. Das zeigen z. B. die Spielfilme, in denen Hgs vorkommen.
Wenn der Gerätetyp allgemein bekannt ist, dann setzt das voraus, dass er in so großem Umfang verwendet wird, dass sozusagen jeder einmal die Gelegenheit hat, das Gerät durch einen Hg-Träger in seinem Bekanntenkreis kennenzulernen.