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Author Topic: Zeitungsbericht, 14. 8. 2007  (Read 3339 times)

veterano

  • Guest
Zeitungsbericht, 14. 8. 2007
« on: 15. August 2007, 01:13:19 AM »
Zeitungsbericht, Braunschweiger Zeitung, 14. 8. 2007, Seite 5 (Niedersachsen-Seite).
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Keine Bange vor der Spange.
Vom Alptraum zum Accessoire: Die Zahnspange hat viel von ihrem Schrecken verloren - obwohl sie oft teuer ist

BRAUNSCHWEIG. "Ey, zeig mal deine Schneeketten!"

Etwas besorgt war Bettina Kroner schon, ob ihr ein solcher Spruch blühen würde. Immerhin kam sie an jenem Tag vor einem Jahr zum ersten Mal mit ihrer festen, ganz und gar unübersehbaren Zahnspange in die Schule. Ihr sogenannter Kreuzbiss sollte auf diese Weise korrigiert werden. Und in ihrer Klasse geschah - kaum etwas.

"Natürlich sollte ich die Spange herzeigen", erinnert sich die 17-jährige Braunschweigerin, "aber es gab keine Lästereien." Auch das rasche Zusammenkneifen der Lippen, sobald jemand einen Fotoapparat zur Hand nahm, hat sie sich rasch wieder abgewöhnt. "Anfangs hat die Spange etwas gedrückt, aber eigentlich war das alles halb so wild", sagt sie ganz abgeklärt - und ist trotzdem froh darüber, die Klammer vor ein paar Wochen losgeworden zu sein.

Die Zahnspange hat viel von ihrem Schrecken verloren. Berühmte Vorbilder aus den USA haben dazu beigetragen. Tom Cruise, Cindy Crawford und andere Ikonen der Popkultur lächelten leichtmetallisch in die Kamera. Die Schülerin Bettina Kroner erwähnt das ansteckende Lächeln der Figur Lisa Plenske aus der Serie "Verliebt in Berlin": "Die trägt Spange und Brille, sieht witzig und gut aus."

Es gibt dezente, kaum sichtbare Modelle. Doch manchen gelten die fest auf die Zähne geklebten Multibrackets erst recht als schick, wen sie schrill aussehen. Die lassen sich nämlich individuell aufhübschen. "Besonders beliebt sind bei uns die Farben von Eintracht Braunschweig und Bayern München. Auch erwachsene Patienten achten übrigens sehr auf die Optik", sagt Kerstin Düerkop, die in einer kieferorthopädischen Praxis in Braunschweig arbeitet.

Immer mehr Menschen brauchen eine Zahnkorrektur. Dies hat nicht bloß mit dem Diktat makelloser Schönheit und dem Daumenlutschen zu tun. "Hinzu kommt, dass Säuglinge nicht mehr so lange und oft auch gar nicht mehr gestillt werden. Das kräftige Saugen an der Mutterbrust ist aber wichtig für die Entwicklung des Gebisses", sagt der Schöninger Zahnarzt Gerd Klingeberg. Auch die grundsätzliche Entwicklung des zivilisierten Menschen führt er an. "Unsere Kiefer werden kleiner. Sie werden nicht mehr so gebraucht."

Dennoch: Dass sich nun alle freudig ihren Über-, Unter- oder Kreuzbiss richten ließen, kann man nicht behaupten. Der "Headgear", ein Apparat, der mit einem im Nacken befestigten Überrollbügel die Backenzähne korrigiert, wird auch schwerlich als cooles Accessoire empfunden werden.

Schwerer noch wiegt: Auch die Kieferorthopädie ist eine finanzielle Frage. Seit 2002 wird das Klammergeld nicht mehr so großzügig erstattet. Das Sozialgesetz legt fest, dass die Krankenkassen die Kosten einer Behandlung nur übernehmen, wenn die erhebliche Beeinträchtigung des Kauens, Beißens, Sprechens oder Atmens attestiert wird. Wer nur am geraderen Lächeln oder gar der oralen Zurschaustellung seiner liebsten Fußball-Farben interessiert ist, muss draußen bleiben.

Tom Cruise mag drüber lachen, für die meisten aber fallen die Beträge ins Gewicht. Andreas Ulbrich von der AOK im Braunschweiger Land schätzt die Kosten der durchschnittlichen vierjährigen Behandlung auf viertausend Euro. Umso bemerkenswerter, dass die Zahlen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsens seit 2002 nur einen hauchdünnen Rückgang der Behandlungs-Zahlen aufweisen, während der Verband der Kieferorthopäden bundesweit sogar einen Anstieg der Behandlungen annimmt.

Viele fürchten sie nicht mehr, die gute alte Spange, sondern schlachten ihr Sparschwein für sie. -

[Dazu zwei Fotos, beide dpa: 1. über dem Artikel ein alle vier Spalten füllendes Lächeln, weiblich, mit aufgeklebten Keramik- oder Kunststoffbrackets (im Sichtbereich beim SW-Foto kaum zu unterscheiden) und linear verlaufendem Archwire wohl aus dem Endstadium einer Behandlung, der sich erst hinter den 3ern im Grenzbereich des Sichtbaren zu komplexeren Figurationen verpixelt. Caption: >Das gewisse Etwas für ein schönes Lächeln: Diese sogenannten Brackets bewerkstelligen die Zahnkorrektur auf elegante Weise.< - 2. Portrait L.P., Caption: >"Brillenschlange", "Klammeräffin" - und trotzdem hübsch: Als Lisa Plenske beeindruckte Alexandra Neldel in der Serie "Verliebt in Berlin" Millionen von jungen Mädchen.<]

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Soweit die Meldung in alle Lande deutscher Sprache, daß die ostfälische Metropolitanregion Braunschweig natürlich immer Vorreiter beim Aufspüren zeitgeistiger Trends ist! ;-)  Der Artikel ist wie hier gepostet erschienen, nur die Beschreibung der Fotos mußte ich mit bestem Wissen und Gewissen einarbeiten. - Und für die Neugierigen: Braunschweig ist immer noch kleiner als Ostfalen, aber leider fühlt sich beides immer provinzieller an :-)