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Author Topic: Essen mit festen Einbauten  (Read 17798 times)

Offline Ingo

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Essen mit festen Einbauten
« on: 27. August 2008, 16:16:42 PM »
Wenn man "die Szene" so verfolgt, bemerkt man, dass es wohl Mode geworden ist, anstelle von Headgears immer mehr feste Einbauten im Mund vorzunehmen. Diese werden ja gern als "Non-compliance-Apparaturen" gelobt. Sie haben den Vorteil, dass sich der Patient nicht aktiv um sie kümmern muss. Er muss nicht drandenken, sie reinzutun und er gewöhnt sich auch schneller dran. Die gleichmäßige Wirkung wird auch häufig als Vorteil angesehen. Und der Kfo hat die Sicherheit, dass die Geräte auch getragen werden (obwohl das das Problem des Patienten ist). Aber das Zeug ist dann halt auch beim Essen ständig im Weg. Stelle ich mir jedenfalls so vor.

Da gibt es die diversen Einbauten im Gaumenbereich (vor allem Expander, sogar Zungenperlen), Minischrauben und auf der Seite Herbstgeräte und ähnliches. Vor allem die Klasse-II- und Klasse-III-Geräte. Eine Auswahl von einfallsreichen Geräten gibt's hier zu sehen: https://www.bracesforum.net/smf/pictures_bilder_english_or_german/orthodontic_appliances_kfo_geraete-t3811.0.html;msg46957#msg46957

Hat jemand von Euch Erfahrungen, wie es mit dem Essen ist, wenn man solche festen Bauteile drinhat?

Discus

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Re: Essen mit festen Einbauten
« Reply #1 on: 01. July 2009, 02:15:52 AM »
Hallo Ingo,

dein Post liegt zwar schon etwas zurück (gerade erst entdeckt), aber ich denke mal, dass du weiterhin an einer Antwort interessiert bist...

Ich selber hatte (als junger Erwachsener) mal das Vergnügen, eine GNE zur Korrektur eines Kreuzbisses tragen zu dürfen. Das Gerät ähnelte diesem hier: https://dereferer.me/?https://dereferer.me/?http://www.dynaflex.com/assets-lab/images/RPE.jpg Die GNE stand dabei ganz am Anfang meiner Behandlung. Ich beschreibe einfach mal, wie es mir beim Einsetzen so ergangen ist:

Los ging es mit dem - rückblickend - unangenehmsten Teil der Behandlung: Dem separieren der Zähne, für die Bänder bestimmt waren. Das hat bestimmt jeder schonmal auf dem ein oder anderen Photo gesehen:
Dabei werden kleine Gummiringe in die Zahnzwischenräume zwischen den Backenzähnen "eingefädelt". Das Gefühl ist ähnlich dem Gefühl, dass entsteht, wenn man sich beim essen eine (Fleisch-)Faser zwischen die Zähne gedrückt hat. Nur darf man sich die Gummis nicht rauspulen und das Gefühl bleibt. Anfangs drückt alles nur ein wenig und man tut sich was gutes, wenn man nochmal schnell was leckeres isst. Nach ein paar Stunden kommt Bewegung in den Zahnhalteapparat und die Backenzähne werden recht druckempfindlich - was hartes kauen war mit den Gummies bei mir jedenfalls nicht drin.

Beim nächsten Termin war Bandanprobe angesagt und die ausführende KFO-Helferin fummelte sich ausdauernd einen dabei zurecht: Nachdem sie das x.te Band auf die Zähne raufgedrückt und wieder runtergefummelt hatte (mal war es zu groß, dann wieder zu klein) waren die richtigen Größen gefunden. Die Bänder wurden mit einem kleinen "Drück-Werkzeug" fest auf die Zähne geschoben und dann wurde ein Abdruck genommen. Nach Wiedereinsetzen der Separiergummies war ich für den Tag entlassen.

Ein paar Tage später war dann der "große Tag". Vor dem Einsetzen wurde mir die GNE noch auf dem Modell gezeigt und dann ging es auch schon los: Zunächst wurden die Separiergummies entfernt. Danach überprüfte die KFO-Assistentin kurz die Passform der Gaumenspange. Die Spange war während der Anprobe nur kurze Zeit in meinem Mund, zudem war die ganze Zeit noch die Hand der KFO-Assistentin in meinem Mund, aber ich weiß noch, dass ich mich in dem Moment fragte, ob ich mir im klaren war, worauf ich mich eingelassen hatte.
Nachdem die Klammer problemlos auf die Zähne passte, konnte es weitergehen....
Nach einer Intensiven Reinigung der Zähne wurde meine Mundhöhle mit diesen lustigen weißen Watteröllchen, die eigendlich jeder von seinem Zahnarzt kennen dürfte, ausstaffiert. Nach intensivem Trockenblasen der Zähne wurde
die GNE schlußendlich einzementiert und der Zement mit UV-Licht ausgehärtet.

Danach wurde ich aufgefordert, mir kurz den Mund auszuspülen. Dies gab mir Gelegenheit mit meiner Zunge die neuen Gegebenheiten in meinem Mund zu erforschen: Wohin ich meine Zunge auch bewegte, überall spürte ich Metall. Von den Backenzähnen beider Seiten aus liefen Verbindungselemente entlang des Gaumens zur mittleren, zentralen Schraube. (Wenn man sich das Photo von oben so anschaut, könnte man meinen, dass die GNE horizontal durch den Mund verläuft: links U-=-U rechts, tatsächlich laufen die Verbindungsstreben entlang des Gaumens: U/`´\U [ich hoffe, dass das jetzt irgendwie verständlich ist...]). Trotz der Tatsache, dass die Schraube recht weit oben am Gaumen sitzt, fühlte es sich beim Mund-ausspülen komisch an, da man mit der Zunge ständig gegen die Schraube stösst (Irgendwie war mir der Gaumen bis dato immer so selbstverständlich gewesen, dass ich über seine blosse Existenz nie nachgedacht hatte. Wenn man eine GNE im Mund hat, änder sich die Ansicht.)
Dann kam die Frage, ob irgendetwas stören oder drücken würde. An der Antwort hätte die Lose-Spangen-Fraktion hier im Board die wahre Freude gehabt: Ich nuschelte recht undeutlich zurück, dass alles in Ordnung sein, erschrak aberselber über meine undeutliche Sprache. Schon ging es weiter im Programm: Mir wurde erklärt, wie ich die Spange zu stellen habe.
Dazu habe ich einen kleinen Stellschlüssel bekommen, an dessen Ende ein kleiner Metallstift war. Diesen Stift galt es in ein kleines Loch in der Stellschraube zu stecken um die Spange dann mit einer 1/4 Drehung zu aktvieren. Die Schraube hat vier Löcher jeweils um 90° versetzt. Nach jeder Drehung kam das nächste Loch zum Vorschein.
Mein KFO aktivierte die Schraube mehrfach und ich spürte ein leichtes Druckgefühl im Kopf-Nasen-Bereich.
Dann wurde ich mit entsprechenden Anweisungen (wann wie oft nachzustellen ist) nach hause geschickt.

Nachdem ich mich zu meinem Wagen begeben hatte, machte ich mich auf den Heimweg. Auf der Fahrt nach hause drang mir ins Bewußtsein, was ich die Zeit zuvor noch nicht richtig wahr genommen hatte. Die Klammer verursachte einen immensen Speichelfluss. Der Körper versucht wohl auf die Weise den ungewohnten Fremdkörper loszuwerden - erfolglos. Um es vorweg zu nehmen: Das Problem legt sich von selber - nach eins bis zwei Wochen...

Zuhause angekommen galt es die nächste Frage zu klären, die mich brennend interessierte: "Und wie klappt es mit dem essen?" Als erste Mahlzeit hatte ich Gnocci vom Italiener auserkoren - Lust auf selber kochen hatte ich keine. Schon beim ersten Bissen merkte ich, dass das Essen mit Spange definitiv anders war, als ohne.

Durch die Metallstreben die an den Zähnen anliegen ist die Aufbissfläche vergrößert und beim Kauen drückt man unweigerlich auf die Apparatur. Weiche Nahrungsmittel drücken sich zwischen die Streben und Gaumen und bleiben dort hängen. Ganz lustig ist, wenn sich faserige Sachen, wie z.B. weiche Röstzwiebeln in der Schraube festsetzen. Da reichen schon minimale Mengen und man hat ein unangenehmes Fremdkörpergefühl im Mund. Richtig fies ist das, wenn man im Restaurant am Tisch sitzt - mit dem Finger nachhelfen will man nicht (man hat ja manieren *g*), aber man kann ja auch nicht alle 5 Minuten aufstehen und aufs WC verschwinden.
Zwischen Schraube und Gaumen ist ein kleiner Spalt (5-6mm würde ich schätzen). Darein verliert sich manchmal Kleinzeug. Von alleine flutscht es da meistens nicht wieder raus, und nachhelfen ist... Mit der Zeit lernt man neu zu essen und die Probleme minimieren sich. Irgendwie kaut man nur noch auf den Seiten.
 
Was leider gar nicht mehr vernünftig funktionierte, war der Genuss von Schokolade. Der Versuch selbigens endete regelmäßig damit, dass ich das Stückchen Schokolade an die Schraube der Spange - anstatt wie üblich - an den Gaumen gedrückt habe. Zerschmelzen lassen war nicht mehr :(

Nach zwei Wochen hatte ich eigendlich keine Probleme mehr mit der Spange und konnte verständlich sprechen. Bei den meisten Wörtern hatte ich überhaupt keine Probleme. Manche Wörter, vor allem mit s/sch lauten, waren Problematisch:
Das Problem besteht darin, dass man die Zunge nicht an die richtige Position bekommt um die nötigen Laute zu bilden, da man gegen die Schraube stösst. Mit ein wenig Übung und Konzentration kann man nach einiger Zeit aber fast alles richtig aussprechen. Dies benötigt aber gerade am Anfang sehr viel Mühe und Konzentration. Nichtbeachtung dieser Tatsache (gerade Abends, wenn der Tag lang war und man viel gesprochen hat) wurde durch Nuscheln augenblicklich belohnt^^.

Leider tritt bei der GNE Apparatur ein ähnlicher Effekt wie bei losen Oberkieferplatten auf:
Es bildet sich Spucke, die man nicht vernünftig wegschlucken kann, was zunächst im ebenfalls bekannten Schlürf-Geräusch gegipfelt hat. Da es ab einem gewissen Alter doch recht peinlich ist, laut schlürfend durch die Weltgeschichte zu wandern, entwickelt man automatisch leise Spucke-Beseitigungs-Methoden (für die Momente in der Öffentlichkeit), die bei mir aber allesamt weniger effizient und zudem deutlich anstrengender waren. 


Nach dem aktiven Aufdrehen der Schraube blieb die GNE noch einige Zeit eingesetzt, damit sich die Situation festigen konnte. Dann wich das Gerät einer Quadhelix und Keramikbrackets.

Im Vergleich zur GNE war die Quadhelix (nach der Eingewöhnungsphase) eine reine Wohltat. Endlich war wieder Platz am Gaumen und auch das Essen war wieder wie in der Pre-Spangen-Zeit. Im Gegensatz zur starren GNE besteht die Quadhelix aus flexiblem Material. Während die Zunge relativ folgenlos an der GNE rumspielen konnte, hatte das rumgespiele an der Quadhelix schmerzehafte Folgen in Form von Schmerzhaften Abdrücken in der Zunge. Nach einiger Zeit gewöhnt sich die Zunge aber auch an diese neue Situation.

Als unangenehm oder schlimm empfand ich das ganze nicht. Ich würde es jederzeit wiederholen, so es denn nötig wäre. Anzumerken wäre vielleicht, dass ich dem Thema nicht ganz unabgeneigt bin und die Behandlung dem entsprechend interessiert verfolgt habe. Für manch' anderen sind die Einschräkungen subjektiv vielleicht deutlich gravierender.   


Ist ja jetzt doch ein längerer Text geworden. Wenn noch Fragen sind: Einfach stellen... :)

Gruß Discus

Offline ulfert

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Re: Essen mit festen Einbauten
« Reply #2 on: 01. July 2009, 19:47:53 PM »
@Discus
Danke für diesen umfassenden und interessanten Erfahrungsbericht !
Ich finde deine Berschreibungen sehr gelungen und praxisnah,
würde gerne mehr von dir und deiner Behandlung hier lesen !

Gruß ulfert

Offline Ingo

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Re: Essen mit festen Einbauten
« Reply #3 on: 01. July 2009, 21:01:29 PM »
@ Discus:
Dein Erfahrungsbericht hilft, sich das vorzustellen. Danke! Auch wenn Du schreibst, Du hättest es nicht als unangenehm empfunden, bleibt mir doch die Vorstellung, in so einem Fall lieber herausnehmbare Geräte tragen zu wollen.

Discus

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Re: Essen mit festen Einbauten
« Reply #4 on: 02. July 2009, 00:01:28 AM »
@ulfert:
Ich würde gerne mehr schreibe, nur habe ich augenblicklich recht wenig Freizeit und komme dementsprechend selten zum lesen, geschweige den zum posten.
Der Rest der Behandlung war zudem recht unspektakulär. Vielleicht überkommt es mich ja irgendwann nochmal und ich schreibe noch etwas dazu... :D

Ich habe mich extra bemüht, die Beschreibung etwas plastischer zu gestalten, als Nicht- bzw. Wunschbetroffener ;) kann man sich ja sonst recht wenig vorstellen. :)


@Ingo:
Meines Wissens nach sind herausnehbare Geräte nur bei Kindern und Jugendlichen bis zu einem bestimmten Alter ein praktikabler Weg und dort bestimmt auch indiziert.
Ab einer bestimmten Grenze funktioniert dies nur noch mit festsitzenden Geräten - die Gaumennaht (kann man sich wie eine Fuge vorstellen, die den Kiefer in einen linken und einen rechten Teil spaltet), über die Platz gewonnen wird, verknöchert mit zunehmendem Alter.
Ab einem gewissen Festigkeitsgrad muss diese bei Erwachsenen sogar operativ geschwächt werden, um überhaupt Platz gewinnen zu können. Ich glaube nicht, dass das auch mit herausnehmbaren Geräten noch funktioniert.

Bei mir war das jedenfalls keine Option, die Angeboten wurde ;) Überhaupt: Wenn es möglich wäre, würde das Tragezeiten von 22-23h bedeuten. Ob da nicht der Versuchung zu groß wäre, mal eben nur für "das eine meeting" ohne zu gehen... Zudem ist eine lose Platte meiner Meinung nach deutlich einschränkender als eine GNE (im Hinblick auf Tragekomfort und verbleibendem Platz im Mund).
Hinzu kommt,dass das Sprachvermögen gegenüber der GNE nochmals deutlich eingeschränkt ist - gut im Fall der Fälle könnte man die Klammer kurzzeitig rausnehmen (womit sich die Katze aber in den Schwanz beißen würde, denn dann rücken die 23h Tragezeit in noch weitere Ferne).
Hinzu kommen noch weitere kleine Unannehmlichkeiten, mal eben was essen? Mit ner losen Platte irgendwie blöd: Klammer raus, *mampf* *mampf*, Zähne putzen gehen, wieder 5min weniger getragen.

Ob ich so konsequent und diszipliniert wie Notwendig gewesen wäre? Ich weiß nicht... 

Offline Mark_B

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Re: Essen mit festen Einbauten
« Reply #5 on: 20. December 2009, 01:46:15 AM »
zugegeben, bei herausnehmbaren Geräten ist die Versuchung schon recht groß, die Spange herauszunehmen, wenn's unangenehm wird. Bei Festen ZS kommt man gar nicht erst in Versuchung.  ;D Aber wenn ich mir einige fest eingebaute Geräte ansehe, dann frage ich mich schon manchmal, ob der, der das erfunden hat, es auch schon selbst im Mund hatte! Aug www.o-atlas.de gibts schon ein paar Geräte, wo man sich fragt, wie man damit essen soll. Ein Pendulum ist schon ganz schön heftig, könnte ich mir vorstellen. Hier habe ich aber noch eine Steigerung gefunden nennt sich:"Das Pendulum F nach Favero". Dazu noch was entsprechendes im UK, dann ist einiges an Metall und Plasik im Mund. Trägt jemand von Euch so was?