"Eine Spange gegen den Zahn der Zeit", Hamburger Abendblatt, 12. Dezember
Von Armgard Seegers
Frauen, die mit 45 noch bauchfrei gehen, 50-jährige Männer, die rollerbladen. Mein Gott, was tun Menschen nicht alles, um jünger zu wirken. Und dabei ist von Fettabsaugen und Bauchstraffung noch gar nicht die Rede.
Das Motto "Wer schön sein will, muss leiden" wird allgemein akzeptiert. Komisch eigentlich. Wo doch jeder sehen kann, dass der eine als Roland Koch zur Welt kommt und der andere als Brad Pitt. Wer nicht ganz zur Pitt-Fraktion zählt, fängt am besten damit an, die Launen, die die Natur an ihm verübt hat, durch ein Lächeln zu überspielen. Wirkt fast immer.
Allerdings nicht, wenn man mit dem neuesten Trend in Sachen Schönheitskorrekturen - völlig zu Unrecht als "ästhetische Chirurgie" bezeichnet - konfrontiert wird, der Zahnspange für die Generation 40 plus. Die tut zwar weh, macht aber, obwohl vom Träger anders beabsichtigt, echt hässlich. Dafür erinnert sie so fatal an Jugend und Pubertät, dass man diesen Effekt wohl demnächst nur noch dadurch steigern kann, dass man sich Akne-Narben eintackern lässt.
Dieses Ungetüm aus Silberverdrahtungen und Stahlplättchen sieht so fürchterlich aus, dass der Riese Richard Kiel 1979 in "Moonraker" damit James Bond erschrecken musste. Plötzlich ist es bei Erwachsenen in Mode. Viele haben in ihrer Jugend das Tragen der Spange verweigert, weil sie Angst hatten, sie könnte sich beim ersten Kuss verhakeln, oder damit könne man nie eine anständige Kaugummiblase hinbekommen. In reiferem Alter, da diese Probleme ad acta gelegt sind, gilt die Zahnklammer als dekoratives Accessoire, das die Jugendlichkeit betont.
Natürlich hat jeder das Recht, dort, wo sich im Mund nicht das Modell "Gartenzaun", sondern Draculazähne, Über-, Unter- oder offener Biss befinden, optisch nachzubessern. Schnapp- und Mundatmung, nächtliches Röcheln oder Sabbern dürften allerdings mit einer Eisenverdrahtung im Mund eher zu- als abnehmen.
Wir haben uns ja optisch schon an vieles gewöhnt: Frauen ohne Dekolleté kommen plötzlich prall aufgepumpt daher. Ehemals Schütterhaarige verfügen nun über einen Kopf, der mit einem Bärenfell zur Winterzeit konkurrieren könnte. Aber Zahnspangen und Falten, das passt irgendwie nicht zusammen. Vielleicht sollten die Spangenfans mal daran denken, dass sie ihre Ungetüme gelegentlich in Kukident baden müssen. Wie echte Senioren.
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Kommentare dazu:
Modetrend? Ein Artikel empört die Leser
Wie jugendlich ist die Zahnspange?
Niemand trägt eine Zahnspange nur zum Spaß, sondern dafür gibt es handfeste medizinische Gründe, so der Tenor vieler Zuschriften.
Glauben Sie wirklich?
Selten habe ich mich über einen Artikel so geärgert wie über diesen. Glauben Sie wirklich, dass es eine Freude ist, in der von Ihnen angesprochenen Altersgruppe noch mit einer Zahnspange durch die Gegend zu laufen? Ich glaube kaum, dass jemand jahrelang mit etlichen Einschränkungen leben möchte, nur der Schönheit wegen. Meine Zähne z. B. wurden in der Jugend korrigiert, nur leider hat mein Kieferorthopäde sein Handwerk nicht verstanden. Übrigens habe ich weder vor noch nach der Spange unter nächtlichem Röcheln oder Sabbern leiden müssen.
U. Bandow, Hamburg
Respektlos
Ich bin 44 Jahre alt und trage seit zwei Jahren eine feste Zahnspange. Ich habe eine Menge Erwachsene kennengelernt, die Zahnspangen tragen. Keiner hatte eine Zahnspange aus Modegründen, um dem Jugendwahn zu frönen oder sich in die Pubertät zurückzuversetzen. Wenn Sie mal nachrechnen, ist die Generation 40 plus in den 60er-Jahren geboren. In den Siebzigern achtete man noch nicht so sehr auf kieferchirurgische Korrekturen. Heutzutage ist das Bewusstsein bezüglich des Zustandes des Gebisses viel größer. Außerdem sind die Möglichkeiten der Gebisskorrektur sehr vielfältig. Alle, die ich bisher mit Zahnspange kennenlernte, hatten eine medizinische Indikation. Die Respektlosigkeit, mit der Sie auf die Hässlichkeit der Zahnspangen hinweisen, ist schon bemerkenswert.
Iris Büchner-Horstmann, Hamburg
Neidisch
Der Artikel ist ärgerlich und peinlich. Mit detaillierten Kenntnissen in Kieferorthopädie glänzt die Autorin jedenfalls nicht. Eine Korrektur von Zahnfehlstellungen im Erwachsenenalter hat so gar nichts damit zu tun, sich ins Jugendalter zurückzuversetzen. Jeder weiß das, der jemals eine solche Behandlung ertragen musste. Was ist schlimm daran, nach der Behandlung mit schönen Zähnen durch die Welt zu gehen? Ist die Autorin vielleicht neidisch und muss ihre Zähne bereits in Kukident baden?
Marion Schlichting-Erb, Hamburg
Festgefahren
Aha, ein bauchfreies Oberteil anziehen oder sich mit Rollerblades fortbewegen darf man nur bis zu einem gewissen Alter. Darüber hinaus darf man keinen Spaß mehr daran haben. Tut man es dennoch, will man jung erscheinen. Möglicherweise fahre ich auch nur auf meinem Tretroller (Kickboard), um mich bei Kindern und Jugendlichen anzubiedern und nicht, weil ich damit schneller zur Bahn komme. Höchstwahrscheinlich kleiden Sie sich dann ab 40 nur noch in Beige, lassen das Rad im Keller stehen und kaufen sich vorsorglich schon mal Gesundheitsschuhe. Herzlichen Glückwunsch zu dieser festgefahrenen Lebenseinstellung.
S. Wilhelm, per E-Mail
Sachlich-fachlich
Was treibt eine Journalistin zu solch grotesken Schilderungen, was treibt einen Chefredakteur, solch einen Artikel auf der Titelseite einer seriösen Tageszeitung zu platzieren? Ich bin neugierig und besorgt: Haben Sie bei sich oder in Ihrem Umfeld die von Ihnen beschriebenen Erfahrungen tatsächlich gemacht? Dann kann es wohl kaum bei einem seriösen, das heißt zertifizierten Fachzahnarzt für Kieferorthopädie gewesen sein: Es gehört zu unseren ärztlichen Aufgaben, sachlich-fachlich zu beraten und aufzuklären, gewissenhaft und lege artis zu behandeln gemäß medizinischer Diagnose und Indikation sowie jeden Schritt ärztlichen Handelns schriftlich zu dokumentieren.
Darüber hinaus sorgen Kontrollorgane wie Zahnärztekammer, Kassenzahnärztliche Vereinigung und das Gutachterwesen dafür, dass bei kieferorthopädischen Behandlungen die medizinische Indikation eine grundsätzliche Beachtung findet. Keinesfalls wird unser Handeln bestimmt von abgefahrenen Modetrends und Gelüsten aus der Sadomaso-Szene. Patientenverhaltensweisen und Behandlungsverläufe wie von Ihnen beschrieben sind mir trotz langjähriger fachzahnärztlicher Berufserfahrung nicht bekannt.
Dr. Cornelia Kroker-Wawrzinek(Kieferorthopädin), Hamburg
Quelle:
https://dereferer.me/?https://dereferer.me/?http://www.abendblatt.de/daten/2007/12/12/826557.htmlhttps://dereferer.me/?https://dereferer.me/?http://www.abendblatt.de/daten/2007/12/18/828668.html