Ein Kommentar von Sigi Heinrich / Eurosport
Peking 2008 - Sigi süß-sauer: Zahnspangen
In seiner täglichen Olympia-Kolumne berichtet Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich von seinen Erlebnissen bei den Sommerspielen. Diesmal blickt der den Athleten genau in den Mund, oder besser gesagt auf die Beißerchen.Was habe ich mich früher angestellt beim Zahnarzt. Ich habe getobt, geschrien, um mich geschlagen, wenn ich nur die ersten Geräusche des Bohrers vernahm. Zahnarzt, das war die Höchststrafe. Aber ich musste hin, weil festgestellt wurde, dass ich eine Zahnspange benötigen würde.
Natürlich setzten sich die Erwachsenen durch. Kinder sind machtlos. Ich bekam dieses Ungetüm, denn ein solches war das ja damals. Es war ein mächtiges Drahtgestell mit einer in zungenfarbe gehaltenen Platte. Ein Monstergerät. Ich habe es dann regelmäßig getragen. In der Hosentasche.
Funkelndes LächelnEs hat sich nicht wirklich tragisch auf mein Aussehen ausgewirkt, glaube ich wenigstens. Ich würde sagen. Passt schon. Aber vielleicht hätte ich die Spange getragen, mit Stolz und Begeisterung gar, wenn sie so hübsch gewesen wäre wie die heutigen Modelle. Das sind ja Schmuckstücke. Sie funkeln wie Juwelen.
Das sieht man auch in Peking, denn auch Sportler möchten ja was hermachen, wenn ihnen die Welt bei ihrer Körperschau zuguckt. Natürlich gäbe es auch Piercing wie es etwa der britische Dreispringer Philipps Idowu handhabt. An den Augenbrauen, in der Lippe, in der Zunge. Aber das ist nun wirklich out. Das ist was für die Alten. Nein, eine Zahnspange muss es sein. Eine, die sich elegant und zierlich über die Reihen der Beißerchen legt, denn vor allem bei Siegerehrungen kommt das richtig gut rüber.
Dann wird aus einem strahlenden ein funkelndes Lächeln. Und nicht nur den Damen steht das gut. Es ist auch prima Schmuck bei den Männern. Mal was anderes halt. Man muss sich absetzen aus der grauen Masse, die maximal Goldfüllungen trägt, hinten am Sechser, wo vorher billiges Amalgan war. Wer sieht das schon. Mit Understatement ist man schließlich noch nie weit gekommen. Frag nach bei Carl Lewis, dem erfolgreichsten Leichtathleten der USA. Als er so richtig gut war, konnte sich Carl der Große auch eine Spange leisten.
Im Knast lächelt niemandDas hat seinem Kumpel Leroy Burrell so gut gefallen, dass er sich auch ein paar Reihen anpassen ließ. Gemeinsam haben sie dann bei den Olympischen Spielen in Barcelona die Staffel gewonnen in neuer Weltrekordzeit, die immer noch Gültigkeit hat. Burrell lief dann später in Lausanne selbst Weltrekord. Was hat der gelacht. Vermutlich hat er sich im stillen Kämmerlein sogar auf die Schenkel geklatscht vor Freude über diesen Rekord, weil er so schnell war und ihm niemand nachweisen konnte, eventuell nachgeholfen zu haben.
Mit Wachstumshormonen vielleicht, die Kiefer und Kinn und Füße verändern, weshalb so eine schöne Spange durchaus auch dazu dienen könnte, das Wachstum im nicht so erstrebten Bereich etwas einzugrenzen. Weder Burrell noch Lewis waren je gedopt, um das klar zu stellen. Jedenfalls nicht nachweislich. Das ist Fakt.
Bei Marion Jones liegt der Fall etwas anders. Sie hat unter erdrückender Beweislast zugegeben, gedopt zu haben und sitzt jetzt im Gefängnis. Ihr Leben ist zerstört. Die schmückende Zahnspange, die sie vor fünf Jahren selbstbewusst trug, obwohl sie vorher keine benötigt hatte, braucht sie jetzt nicht mehr. Im Knast lächelt niemand. Aber sie war immerhin eine Zeitlang nicht nur die beste Leichtathletin, sondern auch ein Schönheitsideal. Bis zum heutigen Tag.
Die Siegerin über 100m, Shelly-Ann Fraser aus Jamaika trägt eine Zahnspange, ebenso wie Melaine Walker, die über 400m-Hürden triumphierte und ebenfalls aus Jamaika kommt. Wenn das jetzt Schule macht, dann will in der Karibik bald jede Frau im heiratsfähigen Alter so ein Teil. Gut. In der Masse wird es dann auch billiger. Aber auch in Portugal hat sich herumgesprochen, daß eine Zahnspange eine gute Figur macht.
Bolt bevorzugt GoldmedaillenVanessa Fernandez hat die Spange nicht im geringsten behindert. Sie ist mit Mundschmuck sowas von schnell geschwommen, geradelt und gelaufen, daß sie die Silbermedaille gewann. Noch einmal: Wachstumshormone fördern das Kieferwachstum, unter anderem. Zwar ist HGH (Human Growth Hormon) nachweisbar, aber nur 36 Stunden nach der Einnahme. Aber es wirkt über Wochen. Wachstumshormone vergrößern auch die Füße. Aber es war vermutlich ein Gendefekt, dass der Australier Ian Thorpe, ähnlich legendär wie Michael Phelps, der in Peking bloß sieben Weltrekorde schwamm, Schuhgröße 53 hatte. Wie Flossen. Phelps lebt vergleichsweise auf kleinen Füßen. Größe 48.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ich nicht. Ich sage klipp und klar. Es ist doch prima, dass es jetzt medizinisch machbar ist, Fehlstellungen der Zähne und des Kiefers auch noch im Erwachsenenalter zu korrigieren. Es lebe der medizinische Fortschritt. Ich bin nicht in diesen Genuß gekommen. Schade. Übrigens: Usain Bolt, der Sprintüberflieger, trägt keine Zahnspange. Er bevorzugt als Schmuck Goldmedaillen am Hals und möchte sich am Schlusstag der Leichtathletik-Wettbewerbe im Vogelnest noch eine weitere mit den Staffelkollegen besorgen. Alle guten Dinge sind drei. Und gibt es etwa Schöneres als dieses wunderbare Lächeln der Sieger aus der Karibik. Man könnte neidisch werden.
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Quelle:
https://dereferer.me/?https://dereferer.me/?http://de.eurosport.yahoo.com/22082008/73/peking-2008-sigi-suess-sauer-zahnspangen.html